Das Massaker von 1989 – die Proteste, die China vergisst
Es ist der 5. Juni 1989 auf der Chang’an Avenue in China. Mehrere Panzer fahren in einer Kolonne die Straße entlang, als sich ihnen plötzlich ein Mann mit zwei Einkaufstüten in der Hand in den Weg stellt. Der erste Panzer versucht noch auszuweichen und an dem Hindernis vorbeizufahren, doch der Mann bleibt standhaft. Er steigt auf den Panzer, diskutiert mit dem Fahrer und steigt wieder herunter. Als der Panzer weiterfährt, blockiert der Mann den Weg erneut. Schließlich wird er von vier Männern weggezogen.

Was war geschehen?
Ein Rückblick
Als sich China in den 1980er-Jahren wirtschaftlich weiter öffnete und das bestehende politische System ein wenig liberalisierte, hofften viele Chinesen auf mehr Freiheiten und einen politischen Wandel.

Ein Hoffnungsträger dabei war der damalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, Hú Yàobāng. Dadurch, dass er eine recht liberale Meinung vertrat, machte er sich innerparteilich jedoch einige Feinde, was zu seinem Sturz 1987 führte. Bei chinesischen Studenten war er hingegen sehr beliebt, weshalb diese nach Yàobāngs Tod im April 1980 eine Demonstration zu dessen Trauer veranstalteten. Da es sich ja um ein Mitglied der kommunistischen Partei handelte, konnte die Regierung die Kundgebungen nur schlecht unterbinden.
Die Trauerkundgebungen wurden von den Studierenden allerdings auch dafür genutzt, ihren Unmut am bestehenden politischen System zum Ausdruck zu bringen. Sie forderten mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Im Zuge dieser Proteste traten Tausende Studenten Anfang Mai in einen Hungerstreik. Daraufhin wurde am 20. Mai das Kriegsrecht verhängt.

Wochenlang protestierten Tausende Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens (Tian’anmen-Platz) zusammen mit Arbeitern, Journalisten, Lehrern, Funktionären und Gewerkschaftlern. Mehrere Versuche der Polizei, den Platz zu räumen, scheiterten. Am Abend des 3. Juni wurden die Proteste schließlich gewaltsam niedergeschlagen.
Das Tian’anmen-Massaker
Gegen 21 Uhr trafen die ersten Soldaten und Panzer in Nebenstraßen auf Barrikaden. Von dort aus wurden sie mit Steinen beworfen, was dazu führte, dass das Militär mit scharfem Geschütz zurück feuerte. Die ersten Menschen starben oder wurden verletzt.
Je näher sich die Militärkolonne dem Tian’anmen-Platz näherte, desto stärker wurde der Widerstand und desto rücksichtloser schoss das Militär auf die Menge. Unbeteiligte, die verletzten helfen wollten, wurden nun genauso beschossen, wie Demonstranten, die Molotowcocktails auf Soldaten warfen oder diese töteten. Zwischen 200 und über 3.000 Personen kamen ums Leben. Wie viele genau, ist bis heute unbekannt. Das chinesische Regime schweigt darüber, Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen sind ungenau.
Als das Militär dann gegen 24 Uhr auf dem Tian’anmen-Platz eintraf, war dieser immer noch von 5000 Demonstranten besetzt. Als die ersten Panzer anrollten, wurden diese noch mit Molotowcocktails beworfen, starteten jedoch keinen Gegenangriff. Verhandlungen mit Organisatoren der Demonstration führten zu der Abmachung, dass der Platz gewaltfrei geräumt wird. Nur Personen, die sich um 7 Uhr noch auf dem Platz befänden, würden erschossen oder überrollt werden. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens wurde keine Gewalt verübt.
Der Tank Man
Obwohl der Widerstand weitestgehend niedergeschlagen wurde, setzte sich die Gewalt am 5. Juni vereinzelt weiter fort. Auch diese wurden gewaltsam beendet.
Eine Geschichte von diesem Tag ging um die Welt: Ein Mann stellt sich aus Protest mutig mehreren Panzern in den Weg, besteigt diese sogar und versuchte, mit der Besatzung zu sprechen, sprang wieder ab und versperrte auch weiterhin den weg. Schließlich wurde er von vier Männern weggezogen. Wer diese Männer waren, ist bis heute ungeklärt. Ebenso, wer der Tank Man war und was aus ihm geworden ist.
Im April 1998 nahm das Time Magazine den Tank Man in die Liste der 100 einflussreichsten Personen des Jahrhunderts auf.
Die Wahrheit verschleiern
Seit nunmehr 30 Jahren setzen sich die Angehörigen der verstorbenen Demonstranten dafür ein, dass die chinesische Regierung das Massaker öffentlich anerkennt. Dies ist bis heute nämlich nicht der Fall. Die einzige Partei des Landes ist der Meinung, dass “durch entschlossenes Eingreifen die Stabilität des Landes gesichert” wurde. Kritische Meinungen werden unterdrückt. Wer sich diesem widersetzt, muss mit Verfolgung, Haft, Zensur oder Hausarrest rechnen.
Die chinesische Regierung versucht alles, um die Geschehnisse um den 5. Juni 1989 herum vergessen zu machen. Wie eine Umfrage der britischen BBC zeigt, relativ erfolgreich:

Erinnerungen und Proteste an das Massaker sind bis heute verboten. Lediglich in der Sonderverwaltungszone Hongkong finden jährlich Erinnerungen statt.
Das Massaker von 1989 – die Proteste, die China vergisst. Oder es zumindest versucht.
Dieser Beitrag erschien erstmalig am 04.06.2019 bei “IstDasFakt?!“ .
Bildquellen
- Tank Man: picture alliance / AP via Tagesschau | All Rights Reserved
- Young Hu Yaobang: Un | Public Domain Mark 1.0
- Protest auf dem Tiananmenplatz: picture alliance / ASSOCIATED PR via Tagesschau | All Rights Reserved
- Gedenkfeier 2009 in Hongkong: Ryanne Lai - originally posted to Flickr as 香港人一條心 | CC BY 2.0 Generic
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